Der Preis für Haselnüsse hat sich nahezu verdoppelt und auch die Kakao-Preise sind gestiegen. Die Konsequenz aus dieser Entwicklung ist, dass viele Süßwarenhersteller, darunter auch das heimische Traditionsunternehmen Manner, die Verkaufspreise ihrer Süßwaren erhöhen müssen, berichten österreichische Medien zum Jahreswechsel 2014/2015. Tatsächlich sind die Rohstoffkosten für mittelständische Lebensmittelhersteller zu einer großen Herausforderung geworden, seit die Preise für wichtige Rohstoffe der Lebensmittelherstellung, wie zum Beispiel Weizen, Kakao, Saftkonzentrate, Öle, Fette oder Milchprodukte zunehmend in Bewegung geraten sind.
Seit 2007, dem Ausbruch der Sub-Prime-Krise und der darauf folgenden Finanzkrise, beobachtet die Food- and Agricultural Organization der United Nations (FAO) eine zunehmende Volatilität der Rohstoffpreise [1]. Gleichzeitig berichtet die Weltbank einen signifikanten Anstieg des Volumens von Optionen und Terminkontrakten auf dem Rohstoffsektor durch den Einstieg von Index- und Hedgefonds in die Spekulation mit Rohstoffderivaten [2]. Ob und in welchem Ausmaß zwischen der steigenden Aktivität der Rohstoff-Fonds und der zunehmenden Fluktuation der Rohstoffpreise ein Zusammenhang besteht, ist zum Gegenstand heftiger Diskussionen geworden. Fakt ist, dass Rohstoffe, der wichtigste Inputfaktor und der bedeutendste Kostenfaktor der Lebensmittelhersteller, nach einer jahrzehntelangen Phase mit relativer Stabilität seit Mitte 2007 zunehmend in Bewegung geraten sind.
Lebensmittelhersteller in der Sandwichposition
Die auf lange Sicht steigenden und kurzfristig immer stärker schwankenden Rohstoffpreise verstärken den Druck auf die Ertragssituation der kleinen und mittleren Lebensmittelhersteller, die sich in einer Sandwichposition zwischen globalen Rohstoffkonzernen – auf der Einkaufsseite – und internationalen Handelsketten – auf der Verkaufsseite – befinden. Die Konsequenz sind steigende Kosten und sinkende Erlöse, welche die Erträge der Lebensmittelhersteller massiv beeinträchtigen.
Österreichische Lebensmittelproduzenten sind KMUs
Abgesehen von einigen Ausnahmen, wie Red Bull, Agrana oder RWA sind die österreichischen Lebensmittelhersteller kleine und mittlere Unternehmen (KMU) mit Umsätzen von bis zu 200 Millionen Euro und einer durchschnittlichen Betriebsgröße von 15 Millionen Euro, die sich vorwiegend im Familienbesitz befinden [3]. Diesen Austria-KMUs stehen auf der Kundenseite milliardenschwere europäische Handelskonzerne wie Rewe, Metro und Spar sowie Discounter wie Aldi oder Lidl gegenüber, die auf Angebote von Lieferanten in ganz Europa zugreifen können. Der Wettbewerb in der D-A-CH-Region sowohl in der Produktion als auch im Lebensmittelhandel ist enorm hoch. Der Druck auf die regionalen Hersteller wird durch die zunehmende Handelskonzentration kontinuierlich verstärkt. In Deutschland dominieren sechs Handelskonzerne knapp drei Viertel des Lebensmittelhandels. In der Schweiz sind nur drei Handelsketten für mehr als drei Viertel des Umsatzes verantwortlich. Am höchsten ist das Nachfrage-Oligopol (Oligopson) in Österreich, wo drei Handelskonzerne 83,2 Prozent des Umsatzpotentials abdecken [4]. Das Gefälle im Machtgefüge zwischen den großen europäischen Handelskonzernen und den regionalen mittelständischen Herstellern in Verbindung mit dem enormen Wettbewerb im Lebensmittelhandel macht die Weitergabe von Preissteigerungen auf den Rohstoffmärkten in vielen Fällen zu einer mission impossible.
Volatile Rohstoffmärkte sind eine massive Bedrohung für Hersteller
Kurzfristige Engpässe und unkontrollierbare Preisschwankungen auf den Rohstoffmärkten empfinden viele Hersteller zu Recht als massive Bedrohung. Eine Umfrage belegt, dass 83 Prozent der befragten Unternehmen in Deutschland die Rohstoffpreise als Haupteinflussfaktor für ihr Geschäftsergebnis sehen. Sie messen den Rohstoffpreisen daher eine größere Bedeutung bei als der konjunkturellen Entwicklung (62 Prozent), den Energiepreisen (44 Prozent) oder der Euro-Krise (20 Prozent) [5].
Effizientes und effektives Rohstoffmanagement genießt oberste Priorität im Management der Lebensmittelhersteller. Schließlich handelt es sich mit Abstand um die wichtigste Kostenposition, die außerdem am schwierigsten zu planen und zu kontrollieren ist. Die Hälfte der Befragten gibt an, dass die Rohstoffkosten in ihrem Unternehmen über 30 Prozent der Gesamtkosten ausmachen [6]. Die regionalen Mittelständler sehen sich zunehmend eingeklemmt zwischen ihren Lieferanten – den internationalen Rohstoffkonzernen – und ihren Kunden – den internationalen Handelsketten.
Spekulation professioneller Rohstoff-Fonds zwingt auch die Hersteller zur Spekulation
Die stärker werdenden Preisschwankungen und die temporären Verknappungen einzelner Rohstoffe zwingen auch die mittelständischen Hersteller zur Spekulation mit Rohstoffen. Die rohstoffverarbeitenden KMUs sind gefordert, ihren Bedarf an Rohstoffen durch Hedging zu sichern und sich mit Futures, Optionen und Termingeschäften auseinanderzusetzen. Der gravierende Unterschied zu Derivaten: die Hersteller brauchen Rohstoffe nicht allein auf dem Papier, sondern sie benötigen sie in hoher Qualität auch real für die Verarbeitung, um damit ihre Produkte und Markenartikel herstellen zu können.
Wachsende Konkurrenz zwischen Sicherungsgeschäften und Derivatspekulation
Spekulation in Form von Sicherungsgeschäften (Hedging) gibt es schon seit Jahrhunderten: Jeder Landwirt, der seine Rohstoffe vor der Ernte an einen Müller verkauft und den Preis über ein Sicherungsgeschäft absichert, spekuliert – aber er spekuliert mit Rohstoffen, die wirklich existieren. Und er muss liefern – egal ob die Ernte gut oder schlecht ausfällt. Im Gegensatz zu den Commodity-Tradern, die an Papieren, Börsetickern und Charts interessiert sind und an den Rohstoffen selbst wenig Interesse haben. Ein Investor, der mehrere hunderttausend Dollar in Kaffee-Futures investiert, muss dafür keine einzige Tasse Kaffee trinken. Das Volumen dieses virtuellen Glasperlenspiels ist in den letzten eineinhalb Jahrzehnten geradezu explodiert: Täglich werden Kredite, Swaps und Optionen von mehreren hundert Milliarden gehandelt. „Die Finanzwirtschaft hat sich durch Spekulationen und Wetten verselbstständigt. Es sind Größenordnungen entstanden, die zur realen Produktion oder zur Wertschöpfung in keiner Beziehung mehr standen“ sagte der ehemalige deutsche Finanzminister Theo Waigel in einem Interview mit der Tageszeitung Die Presse [7]. Aus dem Food-Price Index der FAO [8] ist klar erkennbar: Seit 2007 fahren die Rohstoffpreise kurzfristig hinauf und hinunter wie auf der Achterbahn, mit der mittelfristigen Tendenz nach oben. Diese Entwicklung betrifft praktisch alle Rohstoffe, die in dem offiziellen FAO-Index berücksichtigt sind.
Handels-Marken verdrängen Industrie-Marken
Markenartikel benötigen regelmäßig hohe Investitionen in die Produktentwicklung, Marketing und in den Vertrieb. Eigenkapital und Cash Flow vieler KMU-Hersteller reichen nicht aus, um ihre eigenen Marken gegen die starke Konkurrenz der internationalen Lebensmittelkonzerne wettbewerbsfähig zu halten. Hinzu kommen der harte Wettbewerb im Lebensmittelhandel, die zunehmende Rabattschlacht und die steigende Marktmacht der Handelsketten. Diese brisante Faktorkombination bewirkt, dass die europäischen Handelskonzerne von ihren regionalen Lieferanten ständig höhere Rabatte fordern. Es ist kein Zufall, dass seit 1995, dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, 124 von 346 österreichischen Lebensmittelherstellern nicht mehr existieren, was einem Rückgang um 36 Prozent entspricht [9] Hinzu kommt, dass viele regionale Hersteller gezwungen sind, zusätzlich zu ihren Markenartikeln auch Handelsmarken zu produzieren, um ihre Produktionslinien auszulasten. Handelsmarken (auch: Eigenmarke, Private Labels, Distributor Brands) sind Produkte und Produktreihen, deren Markenzeichen sich im Eigentum einer Handelsorganisation befinden. Für den Hersteller ist die Produktion einer Handelsmarke – also eine Lebensmittelproduktion ohne eigene Marke – ein ähnliches Geschäftsmodell wie die Herstellung eines Computers ohne Software. Denn die Produktion von Handelsmarken, die meist günstiger verkauft werden als die Markenartikel der Hersteller, funktioniert nur mit außerordentlich hoher Produktionseffizienz und Kostenführerschaft. Für die Produktion von Handelsmarken gibt es spezialisierte Unternehmen in ganz Europa, der Wettbewerb ist groß und die Investitionen in eine effiziente Produktion sind bedeutend.
Geschäftsmodelle von Herstellern und Handel sind diametral entgegengesetzt
Beim Thema Handelsmarken divergieren Standpunkte, Meinungen und Überzeugungen von Herstellern und Händlern in maximalem Ausmaß. Das ist nicht überraschend, wenn man berücksichtigt, dass die Geschäftsmodelle von Handel und Herstellern vollkommen gegensätzlich sind: Der Handel erwirtschaftet seine Erträge über das Umlaufvermögen, welches möglichst rasch gedreht werden muss, um einen positiven Hebeleffekt auf die Rentabilität zu erreichen. Die Hersteller hingegen brauchen leistungsfähige Maschinen und Anlagen. Die dafür erforderlichen Investitionen sind – bezogen auf den Umsatz – sehr hoch und die Amortisationszeiten auf dem kleinen österreichischen Markt – im Vergleich zum deutschen Markt, der zehnmal größer ist – sind relativ lang. Ein gleichmäßiger Cash Flow und konstante Preise sind entscheidend für Finanzierung und Amortisation der Investition ins Anlagevermögen. Kurzfristige Schwankungen in der Produktion wirken sich unmittelbar in einer Verschlechterung der Produktivität aus. Fällt die Auslastung einer Produktionslinie plötzlich ab, weil ein wichtiger Artikel ausgelistet wurde, so müssen Produktionsschichten reduziert oder nicht selten auch ganze Produktionslinien aufgelassen werden. Andererseits machen kurzfristige, ungeplante Aktionen des Handels oft kurzfristige Sonderschichten erforderlich, die ebenfalls zusätzliche Kosten in der Produktion verursachen können. Nachdem kurzfristige Mengenabweichungen immer auf Kosten der Produktivität gehen, wünschen sich die Hersteller möglichst gleichmäßige Produktionszahlen und konstante Preise.
Diese Zielsetzung steht im Konflikt mit den Zielen des Handels, der Flächenproduktivität und raschen Lagerumschlag braucht, um im immer härter werdenden Wettbewerb erfolgreich zu bleiben. Um diese Ziele zu erreichen, muss der Handel kurzfristiger und taktischer agieren als der Hersteller: Rabattgutscheine und Aktionsrabatte bis zu 25 Prozent sind für große Handelskonzerne kein Problem, sondern eine bewusst gewählte, offensichtlich profitable Strategie. Obwohl: rein rechnerisch müsste bei einem angenommenen Rohaufschlag von 30 Prozent bei einer 25-prozentigen Preisreduktion die sechsfache Menge verkauft werden, um den gleichen Ertrag bei dem rabattierten Artikel zu erwirtschaften.
Vorteile für Markenartikler im Inland und im Export
Unter den gegebenen Rahmenbedingungen ist es gleichermaßen erstaunlich wie bewundernswert, mit welcher Professionalität und Geschwindigkeit die österreichischen Lebensmittelhersteller seit dem EU-Beitritt ihre Exporte aufgebaut haben. Waren es 1995 nur rund ein Sechstel, so gehen heute bereits etwa zwei Drittel der österreichischen Lebensmittelproduktion ins Ausland. Erfolgreiche Markenartikler haben es geschafft, ihren Marken eine qualitative und funktionsmäßige Alleinstellung zu verschaffen, um sich gegen andere Mitbewerber zu behaupten und um zu verhindern, dass der Platz ihrer Marke im Regal durch eine Handelsmarke ersetzt wird. Die Verbraucher – die Chefs an den Regalen – hat der akademische Disput der Marketingprofis über Handelsmarken und Herstellermarken allerdings nie wirklich interessiert: Denn solange Qualität, Image und Preis stimmen, ist es den Konsumenten wurscht, ob ihre Wurst eine Hersteller-Marke oder eine Handelsmarke ist.
[1] Food and Agricultural Organization of the United Nations, “What happened to world food prices and why”
[2] Weltbank (2010): “Placing the 2006/2008 Commodity Price Boom into Perspective”.
[3] Fachverband der Österreichischen Nahrungs- und Genussmittelindustrie
[4] Fachverband der Österreichischen Nahrungs- und Genussmittelindustrie
[5] Inverto Rohstoffstudie 2012 in Kooperation mit dem Handelsblatt und AMI, S.6
[6] Rohstoffmanagement in turbulenten Zeiten, Inverto Rohstoffstudie 2012, S. 5
[7] Dr. Theo Waigel, ehemaliger deutscher Finanzminister, in DIE PRESSE vom 11.7.2013
[8] http://www.fao.org/worldfoodsituation/wfs-home/foodpricesindex
[9] Im Zeitraum 1995 bis 2012 ist die Anzahl der österreichischen Lebensmittelhersteller laut der Statistik des
Fachverbandes der Nahrungs- und Genussmittelindustrie um 36 Prozent von 346 (1995) auf 222 (2012) gesunken.
© Beitragsbild: Africa Studio
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