Der Entwurf zur DIN EN ISO 20607 Sicherheit von Maschinen – Betriebsanleitung – Allgemeine Gestaltungsgrundsätze ist nicht unumstritten.
Der Normentwurf, der auf dem internationalen Entwurf ISO 20607 (DIS) Safety of machinery – Instruction handbook – General drafting principles beruht, richtet sich ausschließlich an den Maschinenbau.
Wenig Neues
„Viel Neues bringt der Normentwurf jedoch nicht“ urteilt Claudia Klumpp, Referentin Normen der tekom. Ihrer Expertise zufolge bestehen große Überschneidungen mit der Horizontalnorm DIN EN 82079-1 Erstellen von Gebrauchsanleitungen – Gliederung, Inhalt und Darstellung – Teil 1: Allgemeine Grundsätze und ausführliche Anforderungen.
Über die DIN hinaus sind im Normentwurf laut Klumpp zwar einige Konkretisierungen von inhaltlichen Anforderungen für den Maschinenbau und einzelne Hilfestellungen zur Formulierung enthalten. „Insgesamt jedoch ist die DIN EN 82079-1 wesentlich detaillierter und umfassender als der Normentwurf“, so Klumpp.
Spezifizierung der DIN ISO 12100
„Ziel der Normenverfasser ist es anscheinend, ein bereits in der DIN EN ISO 12100 befindliches Kapitel zur Erstellung von Betriebsanleitungen mit Hilfe dieser neuen Norm weiter zu spefizieren“, mutmaßt Olaf Dömer, Senior Berater der Dortmunder Firma tecteam.
Interessant erscheint ihm eine Aussage unter der Rubrik „Formen der Veröffentlichung“. Dort werden im aktuellen Entwurf nämlich zwei Publikationsmöglichkeiten genannt: gedruckt auf Papier oder elektronisch auf einem Datenträger. „Die Besonderheit hierbei ist, dass einzig die Auslieferung der Technischen Dokumentation in digitaler Form in dieser Deutlichkeit bisher so noch nicht kommuniziert wurde“, so Dömer. Ob man sich hier auf eine Aussage des Blue Guide der EU zur elektronischen Publikationsform stützt, lässt sich aus Sicht Dömers allerdings nicht erkennen, und ob diese Aussage in der endgültigen Fassung in dieser Form Bestand hat, bleibt abzuwarten.
Schwerwiegende Widersprüche
Wesentlich härter geht Dieter Gust, Leiter Forschung & Entwicklung der itl AG, mit dem Normentwurf ins Gericht. „Außer so genannten menschlichen Aspekten, dass da eine Gruppe von Menschen mit anderen nicht kann oder will, fällt mir kein nachvollziehbarer Grund ein, warum neben der DIN EN IEC 82079 nun die neue Norm 20607 mit völlig anderer Nummerierung aber nahezu gleichen Inhalt präsentiert wird – mit anderen sprachlichen Schwierigkeiten und anderen, aber ebenfalls schwerwiegenden terminologischen Widersprüchen“, schreibt Gust in einem überaus lesenswerten Blog-Beitrag. Er findet es schlichtweg schade, dass eine an sich gute Idee einmal mehr nachgerade unfreiwillig ins Gegenteil verkehrt wird.
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Technische Redakteure im Maschinenbau müssen sich künftig auf eine neue Situation einstellen. Klares Ziel der Norm ist die Spezifizierung der Anforderungen aus der ISO 12100 Abschnitt 6.4.
Die Norm ist in diesem Sinne auch eine Art Verstärker, der die Wichtigkeit der Gebrauchsanleitung hinsichtlich „Sicherheit von Maschinen“ hervorhebt. Demnach also keine schlechte Sache, wenngleich auch der Weg der Entstehung dieser Norm nicht gerade der eleganteste war.
Die IEC 82079-1 ist quasi der „Obstkorb“ für die Erstellung von Technischen Informationsprodukten. Die ISO 20607 ist darin der „Apfel“, der, speziell auf die Gruppe der Maschinenbauer abzielt, wenngleich dieser auch noch nicht ganz „gereift“ ist. Die Vorgaben der Norm basieren auf Erkenntnissen und Erfahrungen der Maschinenbaubranche und sprechen direkt das Betriebspersonal und deren „Information needs“ an. Die Norm ist eine pragmatische Konkretisierung von Anforderungen, die auch ohne größere Kenntnisse im Bereich Technische Kommunikation verstanden werden können. Und das ist auch eines der Hauptziele der Normenschaffer, nämlich (auch) „Nicht-Technischen-Redakteuren“ einen Strohhalm zur einfachen und rechtskonformen Umsetzung zu bieten.
Teilweise ist die ISO 20607 konkreter als die IEC 82079-1. Beide Normen suggerieren einen Aufbau von Anleitungen, der am Produktlebenszyklus orientiert ist. In der IEC 82079-1 gibt es zudem Anforderungen an den Inhalt, die in der ISO 20607 nicht vorkommen.
Zum Inhalt sollten demnach beide Normen herangezogen werden, aus maschinenrechtlicher Sicht aufgrund der Konformitätsvermutung vorrangig die ISO 20607.
Dass sich beide Normen überlappen ist kein Geheimnis, was durchwegs auch zu Spannungen im Überlappungsbereich führen kann. Diese Reibungspunkte sollten durch eine genaue Betrachtung beider Standards herausgefunden werden.
Bei der ISO 20607 ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die Norm befindet sich aktuell im DIS-Status und kann kommentiert werden. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Norm hin zum FDIS (Final Draft International Standard) noch verändert. Erscheinen soll die Norm im Herbst 2019. Zeit genug um sich mit ihr zu befassen und sich auf die kommenden Anforderungen einzustellen.