Der Fokus vieler Marketing-Aktivitäten liegt ausschließlich auf der Effizienz, also auf der Maximierung von Aufmerksamkeit und Werbeerinnerung zu möglichst geringen Kosten. Effizienz ist zum Mantra des Marketing-Managements geworden. Spätestens dann jedoch, wenn Sympathie und Verkaufszahlen für die heftig umworbene Marke trotz aller aufgebotenen Effizienz rückläufig sind, wird klar, dass Effizienz ohne Effektivität nutzlos ist. Denn Effizienz und Effektivität sind zwei verschiedene Paar Schuhe.
Mein fünfzehnjähriger Sohn und seine Freunde sitzen zusammen. Jeder starrt, tippt und wischt – sie kriegen die Nasen nicht von den Displays ihrer Smartphones hoch. Ein paar Blocks weiter bestellen einige „Smartphoniker“ beim nächsten Supermarkt per QR-Code und lassen sich die bestellten Lebensmittel und Getränke gleich nach Hause liefern. Unsere Welt hat sich verändert. Noch nie gab es eine derartige Fülle an Lebensmitteln, und noch nie waren sie so verfügbar und günstig wie heute.
Der Konsument ist uns oft voraus und treibt die Marke schneller voran, als wir es tun.
Aber zugleich wächst die Kritik an industriell hergestellten Lebensmitteln, und die Verbraucher werden durch kritische Berichte in den Massenmedien, durch Lebensmittelskandale und eine zunehmend skeptische Öffentlichkeit verunsichert. Kritischere Konsumenten und Konsumentinnen hinterfragen die Zutatenlisten der Lebensmittel. Der gesellschaftliche Wandel und der Siegeszug der digitalen Kommunikationsmittel beschleunigen das Marketing: „Der Konsument ist uns oft voraus und treibt die Marke schneller voran, als wir es tun“ schilderte Unilever-CEO Paul Polman beim World Economic Forum in Genf.
Marketing-Effizienz wird häufig mit Marketing-Effektivität verwechselt
Eine der Ursachen für den Vertrauensverlust des Marketings ist die Verwechslung von Effizienz und Effektivität. Die Folge davon ist eine fast ausschließliche Konzentration des Marketings auf Effizienzkriterien. Dabei sind Effizienz und Effektivität so unterschiedlich wie Yin und Yang. Effizienz bedeutet, die Dinge richtig zu tun. Effektivität hingegen heißt, das Richtige zu tun. Für eine optimale Wirkung ist eine Kombination beider Kriterien erforderlich. Aber der Focus vieler Marketingaktivitäten liegt ausschließlich auf der Effizienz.
Marketing-Effizienz ist zum Mantra des Marketing-Managements geworden.
Marketing-Effizienz ist zum Mantra des Marketing-Managements geworden. Im Gegensatz dazu gilt Effektivität als Kreativbremse und wird daher oft vernachlässigt. Effizienz im Marketing bedeutet die Maximierung von Aufmerksamkeit und Werbeerinnerung mit möglichst geringen Kosten. Effizienz ist also Wirtschaftlichkeit, die sich nach dem ökonomischen Prinzip definiert. Marketing ist effizient, wenn es vom Controlling „verstanden“ wird, also in Zahlen ausgedrückt werden kann. Effektivität hingegen ist erst dann gegeben, wenn das gesetzte Ziel erreicht ist, also zu verkaufen. Effizienz ist gut in Zahlen auszudrücken, und die Investition ins Marketing ist als Verhältniszahl von Aufwand zum Ergebnis einfacher zu argumentieren als über die Effektivität.
Die Marketing-Effizienzfalle
Wenn wir uns über die hohe Aufmerksamkeit und die Controller sich über die niedrigen Kosten pro tausend Kontakte freuen, aber Sympathie und Verkaufszahlen für die heftig beworbene Marke trotzdem zurückgehen, dann ist die Effizienzfalle zugeschnappt. Das kann sogar einem Kommunikations-Profi wie dem deutschen Politiker Peer Steinbrück passieren, der sich mitten im Wahlkampf auf der Titelseite der Süddeutschen Zeitung mit gestrecktem Mittelfinger abbilden ließ. Das Steinbrück-Cover hat die deutschen Medien tagelang beschäftigt. Fakt ist, dass Peer Steinbrück damit eine der effizientesten Marketingaktionen kreiert hat, die es je gegeben hat. Mit dem minimalen Aufwand des Fingerstreckens erreichte seine Marketingbotschaft eine rekordverdächtige Reichweite bei konkurrenzlos niedrigen Kontaktkosten. Hocheffizient. Aber Peer Steinbrück wollte nicht den „Effie“ für die effizienteste Werbung, sondern die Wahlen zum deutschen Bundestag gewinnen. Und die hat er schließlich verloren. Denn Effizienz und Effektivität sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Oder – in diesem speziellen Fall – zwei verschiedene Finger. Hätte Peer Steinbrück statt seines Mittelfingers seinen Daumen nach oben gestreckt, wäre seine Wahlkampfwerbung garantiert weniger effizient, aber mit Sicherheit effektiver gewesen – nämlich im Hinblick auf sein Ziel, deutscher Bundeskanzler zu werden.
Lobotomisches Marketing und Neuromarketing
Es gibt nichts Sinnloseres, als etwas mit großer Effizienz zu tun, was am besten überhaupt nicht getan werden sollte, sagte „Mister Management“, Peter F. Drucker. Der letzte Schrei dieses effizienzgetriebenen Pseudo-Marketing-Konzeptes ist „Neuromarketing“, bei der man mittels Elektroenzephalografie (EEG), funktioneller Magnetresonanztomografie (MRT), Hautwiderstandsmessung, Blickbewegungs- und Herzfrequenzmessung einen Zugang zum menschlichen Gehirn bekommen möchte. Man sucht nach Lücken in den Köpfen der Verbraucher. Marketing-Konzepte, die dann in Aktivitäten einer Kaufhauskette wie „Come Naked – go dressed“ oder in sinnlosen Wortwiederholungen oder verstümmelten Halbsätzen münden – eine in seiner Intention gehirnamputierendes, lobotomisches Marketing.
Lobotomic Marketing kann man daran erkennen, dass die Creativ Directors mit den Konsumentinnen und Konsumenten wie mit Schwachsinnigen kommunizieren.
Beispiele für diese Art von Lobotomic Marketing gibt es genügend. Vor allem bei Möbelhäusern und Unternehmen der Telekommunikation ist ein gehäuftes Auftreten dieser seltsamen Marketing-Variante zu beobachten. Lobotomic Marketing kann man daran erkennen, dass die „Creativ Directors“ mit den Konsumentinnen und Konsumenten wie mit Schwachsinnigen kommunizieren. Wenn Menschen auch im Alltag in dieser Art miteinander kommunizieren würden, hätte es katastrophale Folgen. „If you talked to people the way advertising talked to people, they´d punch you in the face.“ (H. Smith)
Die Verwechslung von Unternehmern mit Investoren
Der Effizienzwahn des Marketings beruht zu einem guten Teil auf der Verfälschung der Grundideen der Unternehmensführung, die wiederum auf der Verwechslung von Unternehmern und Investoren beruht. Alle Unternehmer sind Investoren. Aber sind alle auch Investoren Unternehmer? Es wird so behauptet und berichtet. Aber das ist falsch. Der Unternehmer will ein überlegenes Produkt oder eine Dienstleistung herstellen und mit Gewinn verkaufen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat er unablässig den Markt, seine Kunden und den Nutzen seines Produktes im Auge. Der Unternehmer orientiert sich also am Kundennutzen, um Gewinn zu erzielen. Der Investor hingegen orientiert sich am Shareholder Value. Denn ein überragender Kundennutzen ist keine ausreichende Bedingung für Kursgewinne.
Die Wirtschaft braucht Investoren ebenso wie Unternehmer
Ein Investor muss nichts von Unternehmensführung verstehen. Sein Focus liegt auf Papieren wie Aktien, Schuldverschreibungen, Derivate, Staatsanleihen etc. Wenn Schwierigkeiten auftreten, kann er die Papiere verkaufen. Unternehmer hingegen sind „Kümmerer“. Sie kämpfen bei Schwierigkeiten, sie kümmern sich, sie denken in Generation, sie sind „Allwetter-Typen.“ Die Wirtschaft braucht Investoren ebenso wie Unternehmer. Denn ein Unternehmer ohne Investitionsmittel kann nichts unternehmen und es gibt Gott sei Dank immer noch Investoren, die lieber in konkrete Projekte der Realwirtschaft investieren als in Rohstoffderivate oder in Staatsanleihen, für die dann der Steuerzahler haftet.
Lebensmittelmarketing durch Qualitätsdifferenzierung
Professionelles Lebensmittelmarketing muss primär auf Effektivität abzielen. Dafür müssen aber zunächst die Produktvoraussetzungen geschaffen werden. Natürliche Produktqualität und Qualitätsdifferenzierung statt hochtechnologischer oder gentechnisch veränderter Massenware. Relevante statt penetrante Kommunikationsinhalte. Echte Innovationen statt bloße Variationen, so genannte Line Extensions. Nachhaltige Produkte statt Greenwashing. Erst wenn die qualitativen Voraussetzungen für effektives Marketing erfüllt sind, kann darüber nachgedacht werden, wie man das Konzept effizient umsetzt. Effizienz ohne Effektivität ist nutzlos.
Effizienz ohne Effektivität ist nutzlos.
Das Richtige richtig tun: Eine neue Dimension des Marketings ist gefragt. „Ich wünschte, es flössen mehr Geld und Zeit in die Gestaltung außergewöhnlicher Produkte anstatt in die psychologische Beeinflussung der Wahrnehmung der Käufer mittels aufwändiger Werbung“, sagte Marketingpapst Philip Kotler einmal bei einer Werbewirtschaftstagung. Mit der Gestaltung außergewöhnlicher Produkte ist nicht mehr oder weniger als Marketing durch Qualitätsdifferenzierung gemeint. Professionelles Qualitätsmarketing braucht kein Neuromarketing, keine Hautwiderstandsmessungen, kein EEG und auch kein MRT, sondern ein Produkt, das sich über Qualität differenziert und ein Marketing, das den Focus auf Effektivität statt auf bloße Effizienz legt.
Marketing durch Qualitätsdifferenzierung am Beispiel Darbo
Die meisten der großen Innovationen entstehen nicht aus Heureka-Momenten, sondern durch unternehmerische Entscheidung. Marketing durch Qualitätsdifferenzierung ist inspirierend und begeistert das ganze Team. Im Dezember 1986 legte Diplomkaufmann Klaus Darbo, Eigentümer und Geschäftsführer eines kleinen Tiroler Familienunternehmens, das damals bei einem Umsatz von etwas mehr als sechs Millionen Euro vorwiegend die Gastronomie mit Marmelade in Großgebinden belieferte, bei einer Unternehmenstagung in Pertisau am Achensee die Grundlage für spätere Erfolge. Ich erinnere mich genau an seine drei Sätze, in denen er seine gesamte Unternehmensphilosophie zusammenfasste. Erstens: Unsere Konkurrenz ist die Hausfrau, die ihre eigene Marmelade produziert. Unsere Naturrein Konfitüre muss daher mindestens so gut sein wie die selbstgemachte Marmelade der Hausfrau. Zweitens: Unsere Markenartikel müssen mindestens um ein Drittel teurer sein als eine durchschnittliche Marmelade nach dem Einzelhandelspanel von AC Nielsen, und doppelt so gut. Drittens: Wir werden jedes Jahr in Produktentwicklung und Marketing investieren, um diese Ziele zu erreichen. Fazit: Heute, mehr als 25 Jahre später, wird das Unternehmen in der vierten Familiengeneration geführt. Die Familie Darbo und das Team in Stans behaupten sich erfolgreich gegen Konzerne, die um ein Vielfaches größer sind. Der Umsatz der Darbo AG hat sich verzwanzigfacht und beträgt heute rund 125 Millionen Euro. Ihr Marktanteil bei Marmelade liegt bei ca. 60 Prozent und knapp die Hälfte der Produktion wird exportiert. Fazit: Unternehmer wissen, was wirklich wichtig ist und sie bleiben dabei, ohne sich zu verzetteln.
Professor Kotlers schöne neue Marketingwelt?
Das klassische Einbahn-Marketing der fünfziger bis achtziger Jahre leidet seit Internet, Social Media und Smartphone unter einem ständig steigenden Vertrauensverlust. Das behaupten jedenfalls internationale Marketingexperten, darunter der oft als „Vater des modernen Marketings“ titulierte Professor Philip Kotler. Um das tatsächliche oder vermeintliche Potenzproblem des Vor-Internet-Marketings zu lösen, sind in letzter Zeit viele kluge Marketingbücher auf den Markt gekommen, wie Sustainability Marketing (Belz & Peattie, 2011) oder Good Works (Kotler/Hesekiel/Lee, 2012).
Im März 2010 veröffentlichte „Mister Marketing“ Philip Kotler gemeinsam mit dem indonesischen Marketingguru Hermavan Kartajaya eine neue Marketingbibel: „Marketing 3.0 – From Products to Customers to the Human Spirit“. Das Buch ist insofern erstaunlich, als Kotler die Marketingparadigmen der Vergangenheit, die er ein halbes Jahrhundert hindurch selbst propagiert hatte, darin in einigen Punkten (Die vier P, AIDA-Regel, Segmentierung-Targeting-Positionierung, One-to-One Relationship) radikal revidiert. Der Präsident der Republik Indonesien, Susilo Bambang Yudhoyono, bezeichnet das neue Marketingbuch in seinem Editorial sogar als „Buch für eine bessere Welt“. Denn Marketingpapst Philip Kotler und seine Co-Autoren präsentieren ein Marketing des 21. Jahrhunderts, in dem Unternehmen die Umwelt retten, sozial sind, ihre Kunden lieben, ihnen psychospirituelle Werte anbieten und damit ganz nebenbei noch richtig Geld verdienen. Im Gegensatz zu klassischem Marketing, das mit heilen Werbewelten und Klischees (lila Kuh, sprechende Schweinderl u.dgl.) arbeitet, liegt der Focus des Marketing 3.0 und des „Sustainability Marketings“ auf Realität und Nachhaltigkeit. Eine wachsende Anzahl von landwirtschaftlichen Betrieben und Lebensmittelherstellern betreiben diese Art von Marketing. Die Bio-Bauernfamilie Schulz hat sogar eine Art „Facebook für Schweine“ kreiert, nach dem Motto „Wir geben Fleisch ein Gesicht“.
Chipotle — Lebensmittel mit Integrität
Noch radikaler und streitbarer agiert die amerikanische Restaurantkette Chipotle mit dem Anspruch „Food with Integrity“. Seit etwa 15 Jahren unterscheidet sich Chipotle Mexican Grill von seinen Fast-Food-Mitstreitern durch sein „Essen mit Integritäts-Konzept“, welches auf Qualitätsdifferenzierung beruht. Chipotle verwendet nach eigenen Angaben die besten Zutaten, mit Rücksicht auf die Tiere und die Umwelt und mit hohem Respekt vor den Bauern. Chipotles Essen mit Integritäts-Engagement umfasst die Verwendung von natürlich gewachsenem Fleisch, von Bio-Produkten und Milchprodukten ohne Zusatz von Hormonen, mit einem Schwerpunkt auf Regionalität. Chipotles Animationskurzfilm „Back to the Start“ mit einer Cover-Version des Coldplay-Songs „The Scientist „, vorgetragen von Country-Star Willie Nelson, zeigt das Wachstum von einem Bauernhof zu einer Farmfabrik, bevor sein Besitzer beschließt, auf Nachhaltigkeit umzustellen. Das Unternehmen bezieht 100 Prozent seines Schweinefleisches und rund 80 bis 85 Prozent des Rind- und Hühnerfleisches von Lieferanten, die sich an seine Vorgaben halten: „It means that whenever possible we use meat from animals raised without the use of antibiotics or added hormones.“(Steve Ells). Aber nicht zuletzt durch seine radikale Kritik an der konventionellen Landwirtschaft und der Nahrungsmittelindustrie ist Chipotle-Gründer Steve Ells selbst in die Kritik geraten. Die Landarbeitergewerkschaft hat ihn aufgefordert, den Landarbeitern einen fairen Lohn zu zahlen.
Mangalitza Schwein, Sulmtaler Huhn, Perfect Meat …
Weniger radikal, aber ebenfalls erfolgreich mit Marketing durch Qualitätsdifferenzierung sind das Mangalitza Schwein, das Sulmtaler Huhn oder das Perfect Meat-Konzept der Gebrüder Otto. Alle diese Konzepte und Unternehmen sind auch wirtschaftlich erfolgreich. Marketing und ökologische sowie gesellschaftliche Verantwortung müssen kein Widerspruch sein. Die Beispiele aus der Praxis zeigen, dass es möglich ist, durch Qualitätsdifferenzierung und intelligente Konzepte eine Win-win-Situation für alle zu schaffen. Um diese neuen Konzepte umzusetzen, ist ein Schulterschluss zwischen allen Beteiligten in der Wertschöpfungskette – Landwirtschaft, Industrie, Handel und Konsumenten – sinnvoll. Eine spannende Herausforderung für das Lebensmittelmarketing – in einem der interessantesten und verantwortungsvollsten Berufe, die es gibt.
© Beitragsbild: puckillustrations – Fotolia
Walter Schönthaler
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