In der Praxis begegnen wir immer wieder Risikobeurteilungen, bei denen, sagen wir, Unstimmigkeiten zu Tage treten. Wenn wir sie mit den gelieferten Produkten betrachten, finden wir oft Gefahrenstellen, die nicht berücksichtigt wurden oder es sind Maßnahmen beschrieben, die nicht vorhanden sind. Am Ende ist die Richtigkeit der unterzeichneten EG-Konformitätserklärung in Zweifel zu ziehen. Um das zu vermeiden, zeigt dieser Beitrag die fünf häufigsten Mängel auf.
Bei dem einen oder anderen Produkt fragt man sich, ob der Hersteller darüber nachgedacht hat, dass seine Maschine auch repariert und gewartet werden muss.
Lebensphasen
Es scheint sogar, dass der Hersteller sich bereits bei der Bestimmung der räumlichen Grenzen zu wenig Gedanken gemacht hat. Schaltkästen mit dezentraler Peripherie befinden sich schwer zugänglich innerhalb von Schutzbereichen, sodass kein Instandhalter in der Lage ist, zu Produktionsbedingungen ein Messgerät an Klemmen anzusetzen, um gegebenenfalls die Spannungsversorgung zu prüfen.
Motoren, Zylinder, Schläuche und andere Bauteile befinden sich in dermaßen unzugänglichen Bereichen, dass die halbe Maschine auseinandergenommen werden muss, bevor man an die Verschraubungen eines defekten Hydraulikschlauches gelangt.
Von außen betrachtet machen Maschinen oft einen soliden Eindruck und sind für den Normalbetrieb perfekt abgesichert, was sich auch in der Risikobeurteilung wiederspiegelt. Vernachlässigt werden aber häufig die Gefährdungen, denen Personen während der Reinigung, Wartung und Instandhaltung ausgesetzt sind: Fehlende Aufstiegsmöglichkeiten zu höher gelegenen Anlagenteilen, schlecht zugängliche Anlagenteile und fehlende Bedienstellen für Einstell-Arbeiten aus dem Sicherheitsbereich heraus.
Das Personal ist einfallsreich und erledigt seine Aufgaben trotzdem mit teilweise waghalsigen Turnereien über rutschige Stahlteile. Weil der Hersteller sich zu wenig Gedanken über Gefahren während aller Lebensphasen macht, die eine Maschine durchläuft, kommt es außerhalb des Normalbetriebes immer wieder zu teils schwerwiegenden Unfällen. Ein weiteres Ärgernis für den Betreiber ist, dass aufgrund verschachtelter und unzugänglicher Maschinenteile eine Reparatur weit länger dauert als sie müsste und unnötige Produktionsausfälle zu Buche schlagen.
Risikoeinstufung
Wie hoch ein Risiko ist, muss vor der Wahl von Schutzeinrichtungen bestimmt werden. Laut Normung ist das Risiko eine Funktion aus Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit. Aus diesem Grunde werden oftmals nur diese beiden Kriterien zur Einstufung berücksichtigt. Dass bei der Wahl der Eintrittswahrscheinlichkeit aber die Anzahl gefährdeter Personen, die Häufigkeit des Zutritts und die Qualifikation des Personals eine Rolle spielen ist meist nicht in Betracht gezogen worden. Verfahren zur Einstufung von Risiken werden von der Norm nicht genauer beschrieben, was der Grund für die Existenz von diversen selbstgebastelten Methoden ist. Hier sollte immer versucht werden, ein bewährtes System wie das der HRN (Hazard Rating Numbers) zu verwenden, um die von harmonisierter Norm geforderten Kriterien zu erfüllen.
Ist eine Gefahr erkannt und sind dazu Maßnahmen zur Minimierung getroffen worden, so muss am Ende bestimmt werden, ob das Risiko hinreichend minimiert wurde. Dazu muss eine erneute Einstufung des Risikos erfolgen. Ist das Restrisiko vernachlässigbar, war die Risikobeurteilung erfolgreich. Wenn nicht, müssen weitere Maßnahmen getroffen werden, um einen sicheren Gebrauch gewährleisten zu können.
Vernachlässigung des Drei-Stufen-Verfahrens
Grundsätzlich werden Maßnahmen gegen vorhandene Gefährdungen nach dem sogenannten Drei-Stufen-Verfahren bestimmt. Leider wird mit der Risikobeurteilung oftmals zu spät begonnen, sodass kein Einfluss mehr auf die erste Stufe, die inhärent sichere Konstruktion, genommen werden kann. Aber ausschließlich in dieser Stufe ist es möglich, Gefährdungen konstruktiv zu eliminieren.
Die ergänzenden und sonstigen technischen Schutzmaßnahmen werden dann in der zweiten Stufe festgelegt, sofern notwendig. Hierunter versteht man Dinge wie Abdeckungen, Schutzzäune, Lichtgitter und Trittschutz-Matten. Dennoch müssen Personen zusätzlich geschützt und informiert werden.
Auf welche Weise das zu geschehen hat, wird in der letzten der drei Stufen festgelegt. Hinweise wie „Nicht in laufende Maschine fassen“ lassen erkennen, dass die Anwendung dieses Drei-Stufen-Verfahrens nicht berücksichtigt wurde. Es ist nicht nur in der Normung existent, sondern auch Bestandteil der Maschinenrichtlinie. In solchen Fällen kann von Konformität nicht die Rede sein.
Funktionale Sicherheit
Wie bereits erwähnt zählen Lichtgitter, Trittschutz-Matten und alle Gerätschaften, die Einfluss auf die Maschinensteuerung nehmen, zur zweiten Stufe des oben beschriebenen Verfahrens. Die Güte, die von dieser Schutzfunktion erwartet wird, wird mit dem Performance Level (PL) angegeben. Das geschieht während der Risikobeurteilung. Das mittels Risikograph aus dem ersten Teil der Norm EN ISO 13849 zu bestimmende PLr (r=required) wird aber leider manchmal nicht in Betracht gezogen. Die Folge ist, dass der Konstrukteur, der die Steuerung konzipiert, nicht weiß, ob er ein- oder zweikanalig beim Auslösen einer Schutzfunktion abschalten muss. Das PL hat nämlich direkten Einfluss auf das Design von Schutzfunktionen.
Am Ende des Prozesses muss das PLr validiert werden. Diese rechnerische Prüfung zeigt am Ende auf, ob die Schaltung tatsächlich den Anforderungen aus der Risikobeurteilung genügt oder ob nachgebessert werden muss. Leider fallen uns immer wieder Risikobeurteilungen in die Hände, in denen von Performance Levels jede Spur fehlt und somit nicht nachgewiesen ist, ob das gewünschte Schutzziel einer Maschine tatsächlich erreicht wurde.
Richtig warnen
Der letzte, häufig gesehene Fehler ist Teil der dritten Stufe der Risikobeurteilung, den Benutzerhinweisen zur Minimierung von Restrisiken: Betriebsanleitungen, in denen sich ein Warnhinweis an den anderen reiht. Ganze Seiten füllen die Hinweise, die vor Horrorszenarien und Todesfolgen warnen. Für den Leser eine Zumutung und für den Hersteller im Falle einer Prüfung ein Problem.
Die Warn- und Sicherheitshinweise auf Maschinen und in der Anleitung ergeben sich aus der Risikobeurteilung. Zu viele Warnhinweise in der Anleitung kann zwei Gründe haben: entweder kannte der Autor der Benutzerinformation die Risikobeurteilung nicht oder die Risikobeurteilung schreibt tatsächlich hunderte dieser Warnungen vor. Falls letzteres der Fall ist, wurden vermutlich die erste und zweite Stufe der Risikobeurteilung nicht richtig umgesetzt und eine unsichere Maschine hergestellt. Warn- und Sicherheitshinweise auf dem Produkt und in der Anleitung sollten immer das letzte Mittel zur Vermeidung von Gefahren sein und nur vor vorhandenen Restgefahren warnen, die weder konstruktiv noch mittels Sicherheitseinrichtungen zu vermeiden sind. Wer sich daran hält, wird ein Überwarnen in den Anleitungen vermeiden.
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Damit Sie wissen wie Sie Ihre Risikobeurteilung richtig erstellen, lege ich Ihnen darüber hinaus noch wärmstens unser Whitepaper „Risikobeurteilung – Fluch & Segen“ ans Herz.
- Die fünf häufigsten Fehler bei der Erstellung von Risikobeurteilungen - 6. Februar 2018